- Friedensnobelpreis 1954: UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge
- Friedensnobelpreis 1954: UNO-Hochkommissariat für FlüchtlingeDie Organisation der Vereinten Nationen erhielt den Nobelpreis für ihre Hilfeleistungen für Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg.UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (Office of the United Nations' High Commissioner for Refugees, UNHCR); 1950 gegründet, 1951 Aufnahme der Tätigkeit als Unterorgan der UN-Generalversammlung, Sitz in Genf, Büros und Außenstellen in 113 Staaten, weltweit mehr als 3000 Mitarbeiter; humanitäre, unpolitische Organisation, Hauptfunktionen: »internationaler Rechtsschutz« für Flüchtlinge, Suche nach »dauerhaften Lösungen« für deren Probleme.Würdigung der preisgekrönten LeistungZu den schwerwiegenden Folgen des Zweiten Weltkriegs gehörte der Umstand, dass viele Menschen gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. Etwa 20 Millionen Menschen waren durch den Krieg zu Flüchtlingen geworden. Damit war die Lage noch schlimmer als nach dem Ersten Weltkrieg. Damals war vom Völkerbund das nach dem norwegischen Polarforscher und späteren Friedensnobelpreisträger (1922) benannte Nansen-Amt für Flüchtlinge für die heimatlos gewordenen Opfer des Kriegs eingesetzt worden. 1938 war die Arbeit dieser Organisation mit dem Friedensnobelpreis honoriert worden.Für Fremde in der FremdeNach dem Zweiten Weltkrieg übernahm im Auftrag und unter der Aufsicht der Vereinten Nationen das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR; abgekürzt nach der Originalbezeichnung »Office of the United Nations' High Commissioner for Refugees«) die schwierige Aufgabe, den Kriegsflüchtlingen zu helfen. Allerdings nahm das Hochkommissariat erst 1951, sechs Jahre nach dem Ende des Kriegs, seine Arbeit auf. Es löste eine Vorgängerorganisation, die »Internationale Flüchtlingsorganisation« (International Refugee Organization, IRO), ab. Diese war 1947 von der UNO eingesetzt worden, um sich der akuten Nöte der Flüchtlinge anzunehmen. Grundsätzlich war die Politik der IFO darauf ausgerichtet, den Flüchtlingen die Repatriierung, also die Rückkehr in die Heimat, zu ermöglichen. Doch vor allem die Flüchtlinge aus den nun kommunistisch regierten Staaten des Ostblocks hatten kein Interesse an einer Rückkehr. Damit wurde die Frage des politischen Asyls akut, zumal es auch immer neue Ströme von Flüchtlingen aus Osteuropa in den Westen zog.In der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1948 wurde das Grundrecht auf Asyl für politisch oder religiös Verfolgte festgeschrieben. Allerdings lief das Mandat der IFO 1950 aus. So entstand als deren Nachfolger das UNHCR. Es hatte sich nun weniger mit der Frage der Flüchtlinge des Zweiten Weltkriegs und deren Repatriierung zu befassen. Vielmehr ging es grundsätzlich um die Erleichterung des Schicksals von Menschen, die in der Fremde zu leben gezwungen waren und die nicht zurückkehren wollten. Entscheidend war das UNHCR gleich in der Anfangsphase seines Bestehens an der Formulierung der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 beteiligt. Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich darin, keinen Flüchtling in ein Land zurückzuschicken oder auszuweisen, in dem für ihn die Gefahr der Verfolgung bestand. Die Sowjetunion und die anderen Staaten des Ostblocks verweigerten ihre Unterschrift unter die Konvention ebenso wie die Unterstützung der Arbeit des UNHCR. Das war eine Belastung, die das Wirken des Hochkommissariats von Anfang an eingeschränkt hat.Als Sitz der Organisation, deren Tätigkeit zunächst auf fünf Jahre begrenzt war, wurde Genf in der neutralen Schweiz ausgewählt. Zum ersten Hochkommissar wurde der Niederländer Gerrit Jan van Heuven Goedhart bestimmt. Der gelernte Jurist und Journalist, im Zweiten Weltkrieg in der niederländischen Widerstandsbewegung gegen die Nationalsozialisten tätig, widmete sich der Aufgabe mit großem Einsatz und Engagement. Neben seiner praktischen Arbeit ging es dem Hochkommissar auch darum, das Ansehen von Flüchtlingen im allgemeinen Bewusstsein zu verbessern. Flüchtlinge brauchten seiner Meinung nach kein Mitleid. Vielmehr solle man sie respektieren und bewundern, da sie um ihrer Überzeugungen und ihrer persönlichen Freiheit willen lieber als Fremde in der Fremde lebten als sich in der Heimat unterdrücken zu lassen.Die finanziellen Mittel, die dem Hochkommissar und seiner Organisation zur Verfügung standen, waren eher bescheiden. Mit wenigen Mitarbeitern — 1953 hatte das UNHCR gerade einmal 90 feste Angestellte — mussten mehr als zwei Millionen Flüchtlinge betreut werden. Die Lage besserte sich, als die reiche, in Amerika beheimatete Fordstiftung für eine Unterstützung der Tätigkeit des UNHCR gewonnen werden konnte. Mit einer Zuwendung von über drei Millionen Dollar war es nun endlich möglich, wirkungsvoll zu arbeiten: Das UNHCR stellte den Flüchtlingen Pässe aus, entwickelte Wohnungsbauprogramme, half bei der Ausbildung, bei Existenzgründungen und beim Wiedereintritt in den erlernten Beruf. Die sichtbaren Erfolge bei der Integration von Ausländern veranlassten die UNO 1953, das Mandat der Organisation um weitere fünf Jahre zu verlängern. Außerdem war bei der internationalen Staatengemeinschaft nun auch die Bereitschaft da, für die Flüchtlinge die Kassen der Vereinten Nationen zu öffnen. 1954 wurde die »Flüchtlingsstiftung der Vereinten Nationen« (United Nations Refugee Found — UNREF) ins Leben gerufen. Dadurch wurden weitere Mittel frei, die man vor allem in den Wohnungsbau investierte.Heimatlosigkeit gefährdet den FriedenDer Friedensnobelpreis wurde dem Hochkommissariat 1955 rückwirkend für 1954 verliehen. Das Preisgeld floss sofort in ein weiteres humanitäres Unternehmen: in ein Lager für griechisch-stämmige Rumänen auf der Kykladeninsel Tinos. Manche Zeitgenossen fragten sich allerdings, ob die Arbeit einer Flüchtlingsorganisation eine Leistung sei, für die der Friedensnobelpreis eine angemessene Würdigung sei. Auf solche kritischen Stimmen nahm das Nobelpreiskomitee in seiner Begründung Rücksicht. Sich um Flüchtlinge zu kümmern, so hieß es, sei eine Arbeit für den Frieden, denn Flüchtlinge seien die Opfer von Krieg und Gewalt. Und der Hochkommissar van Heuven Goedhart betonte bei der Entgegennahme des Preises, dass das Vorhandensein Hunderttausender heimatloser Menschen eine Gefahr für den Frieden darstelle: Flüchtling zu sein ohne Hoffnung und Zukunft führe bei den betroffenen Menschen zu Aggressivität und Gewalt, zur Empfänglichkeit für Extremismus und damit wiederum zu Krieg. Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees, das UNHCR mit dem Friedensnobelpreis von 1954 auszuzeichnen, war ein Bekenntnis für die Sache der Flüchtlinge in aller Welt. Mehr als ein Signal konnte sie allerdings auch nicht sein. Bis heute stellt das Flüchtlingsproblem eine der drängendsten Fragen der internationalen Politik dar, was sich auch darin ausdrückt, dass das UNHCR 37 Jahre später, nun vor neue Herausforderungen gestellt, ein zweites Mal den Friedensnobelpreis erhalten hat.H. Sonnabend
Universal-Lexikon. 2012.